Was haben Hopfen, Herzblut und Humus gemeinsam? Sie sind Teil eines besonderen Ortes: dem Stiegl-Gut Wildshut – Österreichs erstem Biergut.
Hier geht’s nicht nur ums Bierbrauen, sondern ums große Ganze:
um Kreislaufwirtschaft, Biodiversität, alte Getreidesorten und die Frage, wie Genuss, Boden und Haltung zusammenhängen.
Ich war bei der Bier- & Genusswerkstatt dabei – einem 6,5-stündigen Workshop zwischen Praxis, Verkostung und Wissenstransfer – und habe mir Braumeister Sebastian Eßl geschnappt. Was dann folgte: ein ehrliches, leidenschaftliches Gespräch über Fehler, Chancen und die Magie hinter dem Bier.



Sebastian Eßl über Mut, Kreativität und den Brauprozess
„Es gibt keine Fehler – es gibt Chancen!“
Sebastian ist kein Braumeister wie jeder andere. Er ist Tüftler, Philosoph und Frühaufsteher – um 4:00 Uhr morgens startet sein Tag, bevor die Würze ins Spiel kommt. Jeder Schritt wird bewusst gesetzt, jeder Rohstoff mit Respekt behandelt. Fehler? Gibt’s bei ihm nicht. Nur Lernmomente.

„Manchmal ist ein Superprodukt aus einem Fehler entstanden.“
Beim Experimentieren mit alten Getreidesorten entstehen Bierstile, die so einzigartig wie unvorhersehbar sind. Ob sie gelingen, zeigt sich oft erst nach Wochen – Geduld und Neugier sind essenziell.
„Wissen teilen statt nur zuschauen“ – Lernen mit allen Sinnen
Die Bier- & Genusswerkstatt ist keine Vorführung, sondern ein echtes Mitmach-Format. Hier geht’s um Sensorik, Handwerk, Kulinarik – und darum, Bier neu zu denken.
„Die Leute kommen, weil sie wirklich was lernen wollen.“
In 6,5 Stunden taucht man tief in die Welt des Bierbrauens ein – von der Theorie bis zur eigenen Würze. Gearbeitet wird mit alten Bio-Getreidesorten aus eigenem Anbau, gebraut, geschmeckt, geschnuppert und hinterfragt wird jeder einzelne Schritt.



Es geht um echtes Wissen: Wie wirken Rohstoffe? Was macht Hopfen im Tee? Wie harmoniert ein dunkles Bier mit einem Fleischgericht?
Im Anschluss gibt’s eine Verkostung der hauseigenen Biere, Bio-Verpflegung im Bio-Restaurant Kråmerladen und wer mag, lässt den Tag im Biergarten oder Gästehaus ausklingen. Das Publikum ist bunt gemischt – und immer wieder entdecken gerade Frauen hier ihren Zugang zum Bier, abseits klassischer Märzen-Klischees.

Eßl hat dafür auch eine plausible Erklärung:
„Frauen haben evolutionsbedingt eine stärkere Wahrnehmung für Bitterstoffe – weil Bitteres in der Natur oft giftig war. Viele klassische Biere sind genau das: bitter. Aber unsere Biere sind oft feiner, runder, komplexer.“
Und so passiert es regelmäßig, dass Teilnehmerinnen überrascht sagen:
„Das hätte ich nie gedacht – aber das trinke ich gern.“
„Wir denken in Kreisläufen..“
Für Sebastian Eßl beginnt gutes Bier nicht im Sudhaus, sondern im Boden. Gesunde Böden bringen lebendige Rohstoffe hervor – und daraus entstehen ehrliche, charaktervolle Biere. Dieser Zugang prägt das gesamte Stiegl-Gut Wildshut:
„Wenn du in Kreisläufen denkst, der Natur und dem Boden was Gutes tust und gesunde Böden förderst, kommst du drauf, dass jedes Abfallprodukt ein neues Produkt ergibt.“
Wildshut lebt genau dieses Prinzip: Keine Chemie, keine Kompromisse – stattdessen Kreislaufwirtschaft mit alten Getreidesorten, Mangalitza-Schweinen, einer eigenen Mälzerei, Brennerei und einem Gästehaus ohne WLAN – dafür mit Achtsamkeit.

Gleichzeitig spielt Wissenschaft eine zentrale Rolle: Im Labor wird geforscht, geprüft, verbessert. Gemeinsam mit der Stieglbrauerei entsteht eine wertvolle Synergie zwischen modernem Know-how und handwerklicher Tiefe.
Dabei war dieser Weg alles andere als selbstverständlich.
„Im Studium galt: Was du nicht willst ist eine Mälzerei, Bio-Brauerei und sodaalkalisches Wasser“
Ein Meilenstein: den eigenen Hopfen biologisch anzubauen – und heute 100 % autark in der Rohstoffversorgung zu sein.
„Wer bleibt, bleibt aus Überzeugung“
Was in Wildshut entsteht, ist nicht das Werk eines Einzelnen. Es ist das Ergebnis eines kleinen, eingeschworenen Teams, das mitträgt, mitdenkt und mitfühlt. Menschen, die nicht einfach einen Job machen, sondern eine Haltung leben. In der Brauerei, im Bio-Restaurant Kråmerladen, im Gästehaus – überall spürt man den gemeinsamen Spirit.
„Bei uns in der Gastro wird nicht nur serviert – da wird erklärt, gespürt, weitergegeben.“
Damit dieser Weg möglich wurde, braucht es nicht nur Leidenschaft, sondern auch Rückhalt – und den hat Sebastian Eßl seit vielen Jahren:
von der Familie Kiener und der Stieglbrauerei, die Wildshut nicht nur mitgetragen, sondern aktiv mitgestaltet haben.





Wildshut ist kein Ort für schnelle Antworten. Es ist ein Ort für langsames Fragen, für echte Begegnung – mit dem Produkt, der Natur und sich selbst. Wer hier Bier trinkt, schmeckt nicht nur Hopfen und Malz, sondern eine Haltung, die tiefer geht: achtsam, neugierig, mutig.
Und vielleicht ist es genau das, was man von Sebastian Eßl und dem Stiegl-Gut Wildshut mitnimmt:
Dass gutes Bier nicht nur gebraut, sondern gelebt wird.


Kommentar verfassen